Donnerstag, 22. Mai 2014

62. Beitrag - So der Mensch will

"Die Pestumzüge konnten nicht natürlich sein, aber warum sollte Gott uns so sehr strafen wollen?"

So oder so ähnlich dachten sicherlich viele Menschen der mittelalterlichen Gesellschaft. Europa ward verheert, ganze Landstriche waren entvölkert, so manches Feld lag brach. Selbst die Menschen der Stadt, denen es frei stand sich auch außerhalb der Mauern zu bewegen, waren wie eingekerkert. Vor der Pest war niemand sicher, diese Krankheit war dabei sogar recht demokratisch, denn sie verschonte niemanden. Nicht einmal die Reichen und Mächtigen. Rattenflöhe waren es, die den Pesterreger während den großen Epidemien des Mittelalters übertrugen. Ratten kamen überall hin. Sie gehörten zur allgemeinen Kulisse, was sie quasi unsichtbar machten. Aber nicht überall gab man sich zufrieden damit alles Gott in die Schuhe schieben zu wollen. An den Universitäten gehörte das Medizinstudium zum Standard. Neue Gedanken hielten Einzug in die Wissenschaft.

Doch so neu waren sie gar nicht, auch wenn man vorsichtig sein musste, wollte man nicht in das Blickfeld der Kirche geraten. Chirurgie, angewandt seit der Antike, fand ebenso eine neue Bedeutung wie Leichensektionen. Man erhoffte sich Erkenntnisse über das Wesen des Menschen und seine Funktionsweise. Einer ihrer Vorreiter war kein geringerer als Leonardo da Vinci (1452-1519). Seine anatomischen Studien des menschlichen Körpers waren bahnbrechend. Detailgenaue Zeichnungen zeugten von seiner Fähigkeit die Dinge genau beobachten und abbilden zu können sowie das Verständnis, welches er diesem Wissen entgegenbrachte. In den folgenden Jahrhunderten nach ihm gelangten die Menschen zu der Erkenntnis, dass man das bisherige Wissen in Frage stellen musste, um neues zu erlangen. Legenden und Mythen sollten nicht weiterhin fester Bestandteil der Medizin sein, sondern nur das, was in der Realität nachweislich funktionierte.

Doch ähnlich den vielen Quacksalbern des Mittelalters setzten sich viele andere Theoretiker, zumindest eine Zeit lang, durch. Und das Spektrum wurde größer, denn durch den engeren Kontakt, den man mit den Völkern überall auf der Welt hatte, kam man natürlich auch an „neue“ alte Mittelchen heran. Popularität errungen Magnetfeldtherapien oder die Theorie der „Erregbarkeit“. Eine genaue Beobachtung und die Verwertung der Erkenntnisse haben schon so manchen Menschen das Leben gerettet. Die Desinfektion von Händen und Arbeitsgeräten, heute der Standard, war im 19. Jahrhundert ein absolutes Novum, mit dem Man sich viele Feinde machen konnte. Dem damaligen Assistenzarzt Ignaz Semmelweis haben wir die desinfizierenden Maßnahmen vor einer Behandlung zu verdanken, denn er war es, der sich mit seiner Erkenntnis durchsetzen konnte. Sogar der Zufall trug, wie so oft, zu einer bahnbrechenden Entdeckung bei: Penicillin!

Heutzutage gehen wir von der Schulmedizin als alleinigen Problemlöser langsam wieder ab, denn der Körper wird nicht mehr nur in Einzelteilen betrachtet. Immer mehr betrachtet man diesen als ganzheitliches Objekt, also Körper und Geist, die in Einklang gebracht werden müssen. Seelische Erkrankungen können körperliche Beschwerden mit sich ziehen. Körperliche Erkrankungen können sich auf die Seele auswirken. Allerdings existieren auch Schattenseiten. Übermäßiger Einsatz von Antibiotika in Human- und Tiermedizin führten zur Immunisierung bestimmter Krankheitserreger, die wir als „multiresistente Keime“ kennen. Also ein kompletter Abkehr von der Schulmedizin und den modernen Arzneien? Wohl lieber nicht. Stattdessen ist ein sorgsamer und verantwortungsvoller Umgang angebracht. Daher bleibt es nur zu hoffen, dass unser Gesundheitssystem in Zukunft wieder das Patientengespräch mit dem Arzt aufwertet und es angemessen vergütet.

Und die Zukunft? Viren als Krebskiller, nachwachsende Gliedmaßen, Nanomedikamente und ewiges Leben? Vielleicht. Sicher ist jedoch, dass es spannend bleibt und auch die Medizin von neuen Erkenntnissen, auch interdisziplinär, profitieren wird. In der Zwischenzeit werden traditionelle Behandlung mit der Schulmedizin gekreuzt und alternative Therapien getestet. Und da jeder Mensch anders ist, wird auch die Behandlung noch individueller werden müssen.

Quelle und sehr zu empfehlen:

Zeitschrift Karfunkel Codex Nr. 11, 2013 - Von Aderlass bis Zipperlein

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